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Kirche als Startup-Inkubator

oder: Der Traum von Raum für neue Ideen

„Focusing on one thing and doing it really, really well can get you very far.“

– Kevin Systrom, Instagram

Die Wetteraussichten für die Kirchen in Deutschland stehen auf Rekordtief. Immer weniger Menschen interessieren sich noch für das wöchentliche Retro-Kultur-Spektakel mit wahlweise Weihrauch- oder Schimmelgemäuer-Beigeschmack. Man könnte – analog zur Politik – von einer echten Kirchenverdrossenheit sprechen. Für die Prognose braucht es keine Propheten: Wir brauchen neue, innovative Ideen. Und mit innovativ meine ich nicht ein bisschen mehr EDM-Musik im Gottesdienst anstelle von alten Chorälen, ein bisschen stylishere Gemeindebriefe anstelle von getackerten A4-Schwarzweißkopien und ein bisschen besseren Kaffee anstelle des günstigsten Lidl-Filterkaffees im 5-Liter-Pumpspender. Nein, es braucht radikal innovative Ideen. 

Auch in der Wirtschaftswelt haben die großen, altehrwürdigen deutschen Tanker wie Bosch, Daimler und die Deutsche Bahn Probleme. Große Läden haben eben oft eine Innovations-hemmende Umgebung. Zu schwerfällig ist das Konstrukt aus Regeln, komplexen Prozessen und vielen Managementschichten. Kleine, schlanke, für ein bestimmtes Ziel gegründete Startups bieten oft besseren Nährboden für neue Ideen und kreative Lösungsansätze. 

Was die Großkonzerne aber von uns als Kirche unterscheidet: Sie sind sich dessen bewusst. Mit sogenannten Inkubatoren stellen sie gezielt Mittel und Rahmen für die Entstehung von neuen Mini-Betrieben bereit und investieren damit in radikalen Wildwuchs. Im Bosch grow-Programm beispielsweise entsteht eine Firma um einen Roboter, der bei der Pflege von Spargel unterstützt, im Daimler Lab1886 die ÖPNV-App moovel, beim Deutsche-Bahn-Inkubator mindbox eine Software, die Passwörter auf dem Handy speichert. Statt sich nur auf die Kernkompetenz zu konzentrieren, wird ein Raum geschaffen, in dem Dinge ausprobiert werden können. Unkonventionelle Dinge. Dinge, die vielleicht gar nicht zur aktuellen Ausrichtung des Unternehmens passen. Dinge, die vielleicht sogar kompletter Bullshit sind und kein bisschen Geld abwerfen werden. Aber es gibt eben nur einen Ort, an dem große Ideen geboren werden: Beim Ausprobieren.

Ich wünsche mir eine Kirche, die auch bereit ist, diesen waghalsigen Schritt zu gehen. Geld, Personal und Raum für komplett neuartige Ideen zu bieten. Jenseits der Agende. Jenseits der bisherigen Strukturen.

In der vergangenen Woche war ich auf Studienreise in Großbritannien und durfte mit ansehen, wie dort die Anglikanische Kirche die diesen Kurs bereits verfolgt. Es wurden großflächige Förderprogramme gestartet, eine Pionier-Ausbildung für Gründer geschaffen und konsequent neue Zielgruppen in Betracht gezogen. Und plötzlich finden sich wieder kreative Pioniere in der Kirche, die Bock darauf haben, neues auszuprobieren: Eine Kirche im Hipster-Café. Eine Kirche, die Obdachlose und Missbrauchsopfer zum gemeinsamen Brotbacken versammelt. Eine Kirche, die sich als Food Market für zugezogene Migranten versteht. Eine Kirche, die Heimat und Austausch für an Demenz Erkrankte und deren Angehörige bietet. 

Viele Ideen von Startups scheitern gnadenlos. In der Wirtschaft genauso wie auch in der Anglikanischen Kirche.

Aber einige fallen auf guten Boden. Und für diese wenigen lohnt sich die Investition. Denn die verrückten, innovativen und kreativen Ansätze von heute entscheiden über die Alltagsrealität von morgen.